20. Juli 2020

Eine technische Heldentat

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Seit knapp drei Jahren zieht die „Polli“, die schwimmende Klinik der Ärzte, Schwestern und Crew der Irrawaddy River Doctors ihre Runden von Dorf zu Dorf im Süden Myanmars. Extreme klimatische Verhältnisse wie senkrecht stehende Sonne, Dampf, Hitze, Starkregen zusammen mit intensiver Nutzung der Technik fordern ihren Tribut und sorgen für kontinuierlich hohen Verschleiß bei den technischen Anlagen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen an Bord ist eine 100% zuverlässige Stromversorgung unter allen Bedingungen, bei jedem Wetter, zu jeder Tageszeit. Bei sonnigem Wetter gelingt dies mit Solaranlagen, bei schlechtem Wetter oder nachts müssen Stromgeneratoren und Batterieanlagen die notwendige Energie bereitstellen.

Während übliche Batterieanlagen hierzulande viele Jahre zuverlässig ihren Dienst versehen, müssen sie in Myanmar unter den dortigen extremen Betriebsbedingungen nach 2-3 Jahren bereits ersetzt und duzende giftige Batterien eigentlich regelmäßig umweltgerecht entsorgt werden. Leider ist in Myanmar Recycling nahezu unbekannt und die gängige Entsorgung aus Umweltgesichtspunkten untragbar. Nachdem die Aufrechterhaltung eines stabilen Stromnetzes an Bord aufgrund der verschlissenen Batterien zunehmend schwieriger wurde, entschied sich die Stiftung im Herbst 2019, in eine hochmoderne, in Myanmar noch völlig unbekannte neue Batterietechnologie zur langfristigen Energieversorgung des Schiffs zu investieren. Finanzielle Hilfe durch Spender sowie technische und logistische Unterstützung durch den Elektronikkonzern Rohde & Schwarz ermutigten, dieses anspruchsvolle Umbauprojekt anzugehen. Im Gegensatz zur bisherigen, herkömmlichen Anlage hält die neue Technologie hohen Temperaturen und täglicher, intensiver Nutzung viele Jahre stand.

Doch es erwartete uns ein langer Weg und unerwartete Hürden. So ist die neue Batterietechnik als Gefahrgut hoher Kategorie eingestuft. Erst nach Vorlage mehrerer Sicherheits-Gutachten war die Reederei zum Transport unseres Equipments im Container bereit. Zoll und Importauflagen für diese neue Technologie in Myanmar erforderten weitere umfangreiche Vorbereitungen. Kaum unterwegs zwang Orkan ‚Sabine‘ unser Frachtschiff auf hoher See wochenlang vor Anker, eine Weiterfahrt war selbst für einen gigantischen Containerriesen zu gefährlich. Erst mit großer Verspätung ging die Reise unserer Anlage weiter. Endlich erschien die Ankunft in Myanmar planbar. Doch plötzlich durchkreuzte Covid-19 alle Reisepläne. Mit Flugtickets in der Hand saß das Technikteam auf gepackten Koffern, als die Airline kurzfristig alle Flüge stornierte. Bis heute ist die Einreise nach Myanmar für alle Ausländer bis auf weiteres untersagt.

Als in ganz Europa Lockdown-bedingt das öffentliche Leben nahezu still stand, erreichte unser Container den Hafen von Yangon. Unser lokaler Manager Min Min mahnte zur Eile, da auch bei den Behörden in Myanmar erste Schließungen von Behörden in Erwägung gezogen wurden. Schnellstmöglich wurde der Container entzollt, die tonnenschweren Holzkisten per LKW zur ARTEMED Office nach Bogale geschafft und dort von der Crew spätabends abgeladen. Am nächsten Tag galt auch dort der von der burmesischen Regierung verhängte und bis heute andauernde Lockdown. So waren wir einerseits glücklich, unsere wertvolle Fracht gerade noch rechtzeitig und sicher nach Bogale gebracht zu haben, andererseits fehlte plötzlich neben dem erwarteten Technikteam auch spezielles Material zur Installation, das eigentlich vom deutschen Team hätte mitgebracht werden sollen.

Leider war aufgrund der Lockdowns die gesamte Luftfracht nach Myanmar inzwischen eingestellt, mit der Folge, dass das fehlende Material aus Deutschland auch nicht mehr nachgesendet werden konnte. Was tun? Hochwertiges dringend notwendiges Equipment lagerte sicher in unserem Office in Bogale, aber die dringend notwendige Installation schien plötzlich in den Sternen. Und so wurde ein neuer, gewagter Plan erarbeitet: das fehlende Material sollte aus China beschafft werden, und unser lokaler Techniker Khaw Thu sollte die Anlage mit Fernsupport unseres Teams alleine installieren.  Wir hatten keine Wahl – und so wurde der Plan umgesetzt: Mit logistischer Unterstützung durch Rohde & Schwarz gelang es tatsächlich mit erheblichem Aufwand, das fehlende wichtige Material über Umwege im Nachbarland zu beschaffen und nach Bogale zu liefern. Danach war endlich der Weg zur Installation frei!

Detailliere technische Unterlagen und Schaltpläne wurden erstellt und per E-Mail an Khaw Thu zur Einarbeitung geschickt. Tägliche Schulungen und intensive Unterstützung per Telefon- und Videochats durch unseren technischen Leiter Henrik Rausch brachten den lokalen Techniker auf den notwendigen Wissenstand und gaben ihm den Mut, die schwierige Installationsaufgabe Mitte Juni anzugehen. In kontinuierlichem Austausch wurde der bisherige Batterieraum im Schiffsrumpf entkernt, neue Halterungen und Rahmen eingeschweißt, gestrichen und das neue Equipment sukzessive eingerüstet. Nach nur zwei Wochen waren alle gelieferten Komponenten fertig zusammengebaut. Es kam der große Moment – per mehrstündigem Videochat aus Deutschland wurde die neue Anlage erstmals gemeinsam eingeschaltet, geprüft und getestet. Mit vollem Erfolg! Die Anlage lief auf Anhieb und versorgt seitdem das Schiff kontinuierlich mit Strom. Eine Meisterleistung unseres Teams, die vor einigen Monaten nicht vorstellbar gewesen wäre.

 

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