8. August 2024

Ein halbes Jahr in Tansania

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Es begrüßen mich zwei freundliche Augen über den Bildschirm: Heute habe ich ein Online – Interview mit Leonie Zander. Die Hebamme aus Dresden war Anfang 2024 fast ein halbes Jahr im St. Walburg’s Hospital in Nyangao für die Artemed Stiftung im Einsatz.

Artemed Stiftung (AS): Hallo Leonie. Ich freue mich sehr, dass Du Dir heute die Zeit nimmst, mir von Dir, Deiner Arbeit und Deiner Zeit in Tansania zu berichten.

Leonie Zander (LZ): Ja, es freut mich auch. Da gibt es einiges zu erzählen.

AS: Fang doch einfach mal von vorne an: Warum bist Du Hebamme geworden und wie kommt es, dass Du nun bei einem Auslandseinsatz dabei warst?

LZ: Im Grunde genommen ist das die Kombination zwei meiner Berufswünsche; ich konnte mich lange Zeit nicht entscheiden, ob ich lieber in Richtung Medizin gehe oder etwas Politisches, wie etwa im Auswärtigen Amt, machen möchte. Um das rauszufinden, habe ich mich für einen Freiwilligendienst im Süden von Tansania beworben und tatsächlich war ich dann für ein dort tätig. Vorher musste ich außerdem ein Sozialpraktikum in Deutschland machen. Dabei landete ich über ein paar Umwege zufällig auf der Wochenbettstation und im Gebärsaal. Hier wurde ich dann das erste Mal mit dem Beruf der Hebamme konfrontiert und war total fasziniert davon. In Tansania hatte ich dann auch wieder Kontakt zu Hebammen vor Ort. So kam dann irgendwann in Tansania der Entschluss, Hebamme werden zu wollen. Außerdem eignet sich der Hebammenberuf super zur Arbeit überall auf der Welt oder auch zur Weiterspezialisierung in Richtung Entwicklungszusammenarbeit.

AS: Das hört sich nach einem entscheidenden Jahr in Deinem Leben an. Was hat Dir dieser Auslandsaufenthalt noch gebracht?

LZ: Tatsächlich habe ich dort natürlich auch sehr viel über die Kultur und das Leben in Tansania gelernt. Für ein Jahr in einem Land zu sein, bedeutet schon, dass man in Traditionen und die Lebensart der dortigen Bevölkerung eintauchen kann. Ich habe natürlich auch immer aktiv versucht, Teil der Menschen dort zu werden, in dem ich zu Beispiel in dem lokalen Chor mitgesungen habe – dort habe ich übrigens auch die inspirierenden tansanischen Hebammen kennen gelernt.

AS: So warst Du bereits bestens auf die Gegebenheiten bei Deinem jetzigen Einsatz in Tansania vorbereitet?

LZ: Ja, so gut man eben darauf vorbereitet sein kann. Was aber sehr geholfen hat: Ich habe in dem Jahr in Tansania Suaheli gelernt. Dass ich jetzt im St. Walburg‘s Hospital auf der Muttersprache der Leute vor Ort kommunizieren konnte, hat vieles einfacher gemacht.

AS: Das kann ich mir gut vorstellen. Wobei wir – und die meisten anderen ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – ja auch gut mit dem Englisch durchkommen.

LZ: Ja, Englisch geht mit Sicherheit auch. Aber gerade, wenn man zum Beispiel mit den gebärenden Müttern sprechen möchte, oder mit dem Personal, das vielleicht kein Englisch kann, ist es doch sehr hilfreich. Man bekommt dadurch viel schneller Kontakt zu den Menschen und ist auch viel besser integriert. Oft werden auch die offiziellen Meetings zwar in Englisch begonnen, aber die eine oder andere key message wird dann am Ende doch auf Suaheli besprochen. Wenn man sich also sicher sein möchte, dass man verstanden wird, dann nutzt man besser Suaheli.

AS: Wie bist Du denn überhaupt auf die Artemed Stiftung gekommen?

LZ: Ich habe eben nach einer Möglichkeit gesucht für etwa sechs Monate nach Tansania zugehen. Da hat sich die Artemed Stiftung angeboten, und mir auch sofort zugesagt.

AS: Was war nun Deine spezifische Aufgabe vor Ort?

LZ: Oh – das lässt sich so schnell gar nicht einfach zusammenfassen. Ich habe Schulungen, u.a. zum Thema Fruchtblase gegeben, war bei den Outreach Projekten mit dabei, habe Daten für Solveig Groß gesammelt und war natürlich in erster Linie im Geburtssaal tätig.

AS: Denkst Du, es war von Vorteil, dass Du längere Zeit unten warst?

LZ: Auf jeden Fall. Ich habe gemerkt, wie viele meiner Kollegen:innen erst mit der Zeit anfingen, meine Ideen und Anregungen ernst zu nehmen. Oft waren sie verständlicherweise erst sehr skeptisch, dann fingen sie an darüber nachzudenken und Fragen zu stellen, und gegen Ende haben sie einige meiner Arbeitsweisen übernommen. So zum Beispiel die Tatsache, dass ich nicht immer sofort die Nabelschnur abgeschnitten habe. Dadurch wird das Kind nach der Geburt besser mit Sauerstoff versorgt, was besonders nach stressigen Geburten wichtig ist. Und natürlich auch umgekehrt: Dadurch, dass ich so lange dort war, habe ich auch sehr viel mehr dazu gelernt. In Deutschland habe ich als Hebamme doch in erster Linie mit gesunden Müttern und Kindern zu tun, bei denen die Geburt einfach verläuft. Hier war ich tagtäglich mit sehr viel größeren Komplikationen konfrontiert, die mir zunächst etwas Angst machten. Nie zuvor habe ich zum Beispiel so viele Kinder reanimiert. Das hilft mir natürlich auch für meine Arbeit in Deutschland enorm.

AS: Das hört sich sinnig an. Gibt es noch etwas, dass Dir vielleicht aufgefallen ist?

LZ: Ja, in der Tat. Eine ganz wichtige Erkenntnis für mich war, dass viele zunächst unlogisch erscheinende Dinge doch einen Sinn haben. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, warum die verschiedenen Sachen, die man für eine Geburt mit Saugglocke benötigt, nicht alle gemeinsam in einem Paket aufbewahrt werden. Der Grund ist so einfach: Sie müssen alle unterschiedlich sterilisiert werden, und dann werden sie anschließend logischerweise auch einzeln verpackt.

AS: Nun bist Du seit einem Monat wieder in Deutschland. Was ist Dein weiterer Plan?

LZ: Ich habe mich für den Masterstudiengang „Global Health“ immatrikuliert. Er beginnt im Oktober und da freue ich mich sehr darauf. Ich habe durch den letzten Aufenthalt noch mehr das Bewusstsein gewonnen, dass ich ein extrem privilegiertes Leben habe und hoffe sehr, dass ich mit der Kombination meiner Expertise der Welt ein Bisschen von meinem Glück abgeben kann.

AS: Das ist ein extrem ehrenwerter Gedanke! Nun ein letztes Wort Leonie: Was würdest Du zukünftigen Helfer:innen aus Deutschland als Tipp mit auf den Weg geben?

LZ: Loben, loben, loben! Das ist die Geheimwaffe in der Klinik dort. Das Personal ist eine defizitorientierte Pädagogik gewöhnt. Sie freuen sich wie Schneekönige über ein ernstgemeintes Lob!

AS: Liebe Leonie, ich danke Dir für Deine Zeit und wünsche Dir ganz viel Erfolg, Glück und Freude für Deine weiteren Lebensziele.

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